

2018
To Like Or Not To Like
Ein Ensembleprojekt zu William Shakespeares "As You Like It"
Noch einmal Shakespeare – «for ever»
Zum Abschluss meiner zweiundzwanzigjährigen «Intendanz» habe ich mir – uns – nochmals eine Auseinandersetzung mit William Shakespeare gewünscht. Fünfmal hatten wir uns seit 1996 mit Werken und Stoffen des wohl grössten Bühnenautor auseinandergesetzt, der damit sozusagen unser «Hausautor» geworden war. Ich setzte alles auf eine Karte und schlug dem Ensemble «As you like it» vor, das schon im Jahre 2001 auf dem Spielplan der AG Theater stand: neugierig darauf, dieses wunderbare Stück, das der Dystopie einer menschlich entfremdeten kalten Alltagswelt den utopischen Freiheitsraum des Ardennerwalds gegenüberstellt und auf grossartige Weise zwischen Ernst und Heiterkeit, Schrecken und Freude, Traum und entzaubernder Realität oszilliert, noch einmal und nach siebzehn Jahren voraussichtlich sehr anders in Szene zu setzen. Umso mehr freute mich das enthusiastische Echo der Ensemblemitglieder, die mit mir die Meinung teilten, dass viele Themen, die sie beschäftigten, in der Auseinandersetzung mit diesem Klassiker zur Sprache kommen konnten.
Mit der in den letzten Jahren zunehmend unschätzbaren Dramaturgiegruppe von Mitwirkenden des Ensembles suchten wir in einer Textwerkstatt und diese begleitenden Gesprächen den dramaturgischen Weg zu einer Aufführung, welche die Fähigkeiten unseres aus achtzehn Frauen und zwölf Männern bestehenden Ensembles in einer fruchtbaren Balance von Werktreue und Aktualisierung zum Tragen zu bringen konnte. Wie reich und inspirierend die vielschichtige Dichtung des grossen Autors ist, wurde bei dieser Gelegenheit augenfällig. Wir einigten uns auf drei «Erzähldominanten»: Neben dem Gegensatz dystopische – utopische Welt wollten wir uns, mit Einbezug der Metaebene des Theaterspiels im Sinne der «Welt als Bühne»-Metapher, auch mit der Wahlmöglichkeit «To like or not to like» auseinandersetzen und diese im direkten Zwiegespräch mit dem Publikum verhandeln – womit wir den passenden Aufführungstitel gefunden hatten. Schliesslich verfolgten wir gemäss dem schon im ursprünglichen Stück enthaltenen Thema der geschlechtlichen Identität eine Genderdiskussion, die im Jahre 2018 gegenüber der «Erstauflage» 2001 viel vertiefter und radikaler geführt wurde.
Auch bei dieser letzten AG Theater-Produktion blieb mir eine heftige Krise – in Form einer längeren Schreibblockade – nicht erspart. Und ein Krisengespräch gab es mit den weiblichen Ensemblemitgliedern, die sich nach den ersten Proben gegenüber den Männern benachteiligt fühlten; diese spielten die meisten wichtigen Rollen in jener «Welt-Wohn-und-Arbeits-Gemeinschaft», die das Modell eines repressiven Welt-Staates darstellte, in welcher Mr. Herzog als Chef und Influencer seine Untertanen über die digitalen Kanäle manipuliert und mittels des Sozialkreditsystems, das in unserer realen Welt (nicht nur) China vorbereitet, gefügig macht. Umso glücklicher waren unsere Frauen und ich, als sich nach unserer Ankunft im Ardennerwald bewahrheitete, was ich ihnen prophezeit hatte: dass sie hier das Sagen haben! Das Krisengespräch aber bauten wir im Originalton in unseren Aufführungstext ein, den ich, so spät wie noch nie, eine Woche vor der Premiere zu Ende schrieb.
Bei dieser letzten Projektarbeit für die AG Theater gab es eine besonders dichte Anzahl von «Specials». Dazu gehörte – zum ersten Mal auf der Aulabühne –, der Einsatz einer durch unsere neue Bühnenbildnerin Anna Wohgelmuth erdachten Drehbühne, die als prominente Mitspielerin wunderbare Bewegungsabläufe zwischen den beiden gegensätzlichen Welten möglich machte; die Gäste Vreni Urech und Richard Stocker, zwei ausdrucksstarke Senioren-Darsteller, welche im bereichernden Zusammenspiel von Jung und Alt ganz im Sinne Shakespeares auch dem Thema der Vergänglichkeit Bühnenpräsenz verliehen; der in Afghanistan aufgewachsene Aman Afzali, der als Geflüchteter dem stückimmanenten Thema der Emigration eine betroffen machende Authentizität gab. Die Perkussionistin Camille Emaille, die durch Martin Gantenbein, der schon bei meiner ersten «As you like it»-Produktion musikalischer Leiter war, betreut wurde, erfüllte meinen schon lange gehegten Wunsch, eine Aufführung durch erweitertes Live-Schlagzeug solo begleiten zu lassen bravourös, und Una Rusca, musicalerprobter Gast aus dem Realgymnasium, brachte den Ardennerwald mit zauberhaftem Gesang zusätzlich zum Schwingen. Schliesslich war Daniel Riniker, ehemaliges Mitglied und zukünftiger Co-Leiter der AG Theater, ein Produktions- und Regieassistent, wie ihn sich jeder Intendant und Regisseur nur erträumen kann – auch als herznährender Kamerad bei der Forschungsreise ins ungepfadete weite Land des elisabethanischen Autors.
Im gleichen Zuge indes war Sir William noch einmal unser unsichtbarer Begleiter: ein treuer und ungemein grosszügiger, unsentimentaler Freund und radikaler Herausforderer. Wie sonst keiner vermag dieser Autor, den Ben Johnson mit dem Adjektiv «gentle» – «sanft» –kennzeichnete, die Bühne, welche die Welt ist, in ihrer Grausamkeit und ihrem Zauber zu evozieren, ohne uns je sein persönliches Urteil aufzudrängen. Wenn die Werke anderer Autoren vielleicht mit einem grosszügigen Apartment oder gar einem mehrstöckigen Einfamilienhaus zu vergleichen sind, so ist Shakespeares Werk ein Palast mit Räumen ohne Zahl.
CS
Premiere am 4. April 2018
Tickets hier
Regie, Dramaturgie
Christian Seiler
Bearbeitung und Textfassung
Christian Seiler, Dramaturgiegruppe und Ensemble
Ensemble
Annika Biedermann, Eva Bose, Jonathan Clivio, Tiziano de Luca, Sebastian Elben, Allegra Gasser, Greta Gruber, Leon Guggenheim, Elina Huber, Anaëlle Hurni, Emma Imholz, Aline Klaus, Meret König, Noé Kuhn, Clarissa Lutz, Ekaterina Maksyagina, Jeanne Milani, Moritz Rietschel, Antonin Rohdich, Liam Rooney, Orlando Stoll, Naima Tondo, Philip Tsapaliras, Ana Ullmann, Paula Ursprung, Artemisia Valisa, Anouk Werthmüller sowie den Gästen Aman Afzali, Richard Stocker, Vreni Urech und dem Hund Chaplin
Percussion
Camille Emaille
Gesang
Una Rusca
Bühne
Anna Wohlgemuth
Kostüme
Isabel Schumacher
Dramaturgische Beratung
Eva Rottmann
Choreographie
Bruno Catalano
Kampfbetreuung
Werner Hug
Musikalische Leitung
Martin Gantenbein
Playbacks
Martin Gantenbein, Res Wepfer
Toninstallationen und Sprachaufnahmen
Max Treier
Lichtdesign
Michael Omlin
Lichttechnik
Kurt Rothacher
Bühnenmalerei
Walter Stolz, Rosa Birkedahl, Anna Wohlgemuth
Maske
Salome Bigler, Marion Loosli-Backhaus
Produktions- und Regieassistenz
Daniel Riniker
Kostümassistenz
Erika Unternährer
Maskenassistenz
Theresa Manz
Endprobenassistenz
Andrina Imboden, Elmira Oberholzer
Mithilfe Produktion
Joachim Aeschlimann
Technische Leitung
Urs Hildbrand
Fotos
Rémy Bourgeois